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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.07.2004
Aktenzeichen: 1 VAs 17/04
Rechtsgebiete: StVollzG, VVJug


Vorschriften:

StVollzG § 29
VVJug § 24
Bis zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage hat der Senat keine Bedenken, dass der in § 29 StVollzG enthaltene und in Nr. 24 VVJug verdeutlichte und mit dem Erziehungsauftrag zu vereinbarende Rechtsgedanke grundsätzlich eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Kontrolle der Post eines Gefangenen im Jugendstrafvollzug darstellt
Tatbestand:

Der Betr. verbüßt Jugendstrafe. In der Zeit vom 5.9.2002 bis 17.10.2003 leitete die JVA 9 Disziplinarverfahren gegen den Betr. ein, wobei in 8 Fällen Disziplinarmaßnahmen verhängt wurden. Die letzte Maßnahme, eine Auf-, Umschluss-, Freizeit- und Fernsehsperre war bis zum 31.10.2003 vollstreckt. Den Disziplinarverfahren gingen wiederholte tätliche Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen, eine Bedrohung von Bediensteten, der Konsum von selbsthergestelltem Alkohol, die unerlaubte Inbesitznahme einer Tätowiermaschine und die mehrfache Verweigerung, Arbeitsanordnungen Folge zu leisten, voraus.

Am 18.12.2003 begehrte der Betr. die Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen ihn verhängten Disziplinarmaßnahmen und die Aufhebung der allgemeinen Postkontrolle. Durch die angefochtenen Bescheide hat die Vollzugsbehörde den Feststellungsantrag zum Einen mangels weiterhin bestehender Beschwer und im weiteren als unzulässig, da verspätet, zurückgewiesen. Die Aufhebung der Postkontrolle hat sie unter Bezugnahme auf Nr. 24 III VVJug abgelehnt. Bis zum Erlass umfassend gesetzlicher Regelungen seien die Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug bindend.

Der Antrag des Betr. auf gerichtliche Entscheidung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

2. Im Übrigen ist der Antrag auf Aufhebung der Postkontrolle unbegründet, da der Anstaltsleiter im Rahmen des Jugendstrafvollzuges schon aus Gründen der Erziehung gegenüber dem Betr. ermächtigt ist, den Schriftwechsel zu überwachen. Der Anstaltsleiter stützt diese Maßnahme auf Nr. 24 der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Jugendvollzug (VVJug), die der Regelung des § 29 StVollzG, die für den Erwachsenenvollzug gilt, nachgebildet ist. Entgegen der Auffassung des Betr. stellt die Postkontrolle keinen unzulässigen Eingriff in seine Grundrechte dar. Das durch Art. 10 I GG geschützte Brief- und Postgeheimnis wird nicht verletzt.

Art. 10 GG gewährt keinen unbegrenzten Rechtsschutz. Das Grundrecht findet seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Richtig ist, dass es bislang an einem speziellen, förmlichen Gesetz fehlt, das Eingriffe in das Grundrecht des Brief- und Postgeheimnisses eines Gefangenen im Jugendstrafvollzug regelt, obwohl das BVerfG in Bezug auf den Erwachsenenvollzug in seiner Entscheidung vom 14.3.1972 (BVerfGE 33, 1, 9) bereits festgestellt hat, dass auch die Grundrechte von Strafgefangenen nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden können. Im Sinne eines funktionierenden Strafvollzugs hat das BVerfG in der damaligen Entscheidung ebenfalls festgestellt, dass für eine Übergangszeit, bis zum In-Kraft-Treten des StVollzG auch ohne eine besondere gesetzliche Regelung, durch anerkannte Rechtsgrundsätze gedeckte Eingriffe in Grundrechte der Strafgefangenen zulässig seien. Nach der vom BVerfG eingeräumten Übergangsfrist hat der Gesetzgeber zum 1.1.1977 das Strafvollzugsgesetz für den Erwachsenenvollzug geschaffen. Gemäß § 1 des StVollzG gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes nicht unmittelbar für den Jugendvollzug. Den Landesjustizverwaltungen liegt derzeit für den Jugendstrafvollzug lediglich ein neuer Gesetzesentwurf zur Abstimmung vor (GJVollzG).

Die Frage der Verfassungswidrigkeit des jetzigen Jugendstrafvollzuges ist umstritten, wobei letztlich die Obergerichte in keinem der zu entscheidenden Fälle den Vollzug der Jugendstrafe mangels gesetzlicher Grundlage für verfassungswidrig befunden haben (vgl. Calliess/Müller-Dietz StVollzG, 9. Aufl., § 1 Rn 8 mwN). Das BVerfG selbst hat darüber in der Sache bis heute nicht entschieden. 2 Vorlagebeschlüsse des AG Rinteln vom 25.10.2001 (2 BvL 1/02) und des AG Herford vom 18.2.2002 (2 BvL 5/02) stehen zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des § 17 II JGG an. Mangels Gesetzesfassung des Jugendstrafvollzuges ist nach Auffassung der vorlegenden Gerichte nicht nur der Vollzug, sondern auch die Verhängung einer Jugendstrafe verfassungswidrig.

Das OLG Schleswig hat zu dieser Frage bereits in seinem Urteil vom 10.12.1984 - 1 Ss 270/84 (NStZ 1985, 475 f.) Stellung nehmen müssen und entschieden, dass § 17 II JGG mit dem im Grundgesetz verankerten Grundrecht der Würde des Menschen vereinbar sei. Soweit in Einzelfällen Verstöße gegen die Menschenwürde durch den Vollzug der Jugendstrafe gegeben seien, könne dies nicht zur Verfassungswidrigkeit des strafrechtlichen Gesetzesbefehls und der hieraus abgeleiteten strafgerichtlichen Erkenntnisse führen.

Der Verfassungsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins geht in seiner Stellungnahme vom November 2002 zu den Vorlagebeschlüssen der AGe Rinteln und Herford von der Verfassungswidrigkeit des Jugendstrafvollzugs aus. Eine Nichtigerklärung des § 17 II JGG befürwortet er jedoch - im Gleichklang mit der zitierten BVerfG-Entscheidung zum Erwachsenenvollzug - nicht, "da anderenfalls ein "Rechtsvakuum" bestünde. .. Der durch die Nichtigerklärung des § 17 II JGG herbeigeführte Ausfall eines ganzen Bereichs der Strafrechtspflege wäre derart untragbar, dass eine weitere Hinnahme des derzeitigen Zustands unter Anwendung des § 17 II JGG sowie der analogen Heranziehung des Strafvollzugsgesetzes einschließlich der bestehenden Richtlinien für einen Übergangszeitraum vorzugswürdig" erscheine. Auch hier solle der Gesetzgeber zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage bis spätestens zum Ablauf der Legislaturperiode verpflichtet werden.

Ähnlich haben bereits im Jahre 1979 die OLGe Stuttgart und Koblenz entschieden (OLG Stuttgart ZfStrVo 1980, 60; OLG Koblenz ZfStrVo 1980, 61). Sie vertraten die Auffassung, dass bis zum In-Kraft-Treten eines Jugendstrafvollzugsgesetzes entsprechend der derzeitigen Rechtslage weiter zu verfahren sei. Schließlich sei durch das BVerfG (BVerfGE aaO) anerkannt, dass auch allgemeine Rechtsgrundsätze Grundrechte einschränken können. Dies sei umso unbedenklicher als zwischenzeitlich im Strafvollzug die Rechtsgrundsätze durch das StVollzG normiert seien (OLG Stuttgart aaO). Entsprechend hat das OLG Hamm bereits in früheren Entscheidungen die analoge Anwendung von Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes für Beschränkungen im Vollzug der Jugendstrafe für zulässig erachtet, insbesondere wenn in den VVJug die gerügten Maßnahmen nicht speziell geregelt und die Bestimmungen des StVollzG mit dem erzieherischen Auftrag des § 91 I JGG vereinbar waren (vgl. u.a. OLG Hamm - 1 VAs 21/84; 1 VAs 78/85, ZfStrVo 1986, 160; 1 VAs 45/89). Die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes sind jedoch schon weitgehend in die VVJug übernommen und damit in entsprechende Anwendung gebracht worden (vgl. dazu auch OLG Celle - 1 VAs11/99, NStZ 2000, 167 f., das in den VVJug eine rechtlich nicht zu beanstandende Grundlage für die Gestaltung des Jugendstrafvollzugs sieht.). Dies gilt auch für die Frage der Postkontrolle. In Nr. 24 VVJug ist der in § 29 StVollzG festgeschriebene Rechtsgedanke der Überwachung des Schriftwechsels von Gefangenen normiert. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Überwachung des Schriftwechsels nach § 29 III StVollzG bestehen nicht. Zu dieser Frage hat das BVerfG erst vor kurzem entschieden, dass diese Bestimmung mit Art. 10 I GG vereinbar ist (Beschl. v. 22.10.2003, NStZ 2004, 225). (Der Gesetzgeber beabsichtigt auch in dem jetzigen Gesetzesentwurf des GJVollz § 29 StVollzG entsprechend zur Anwendung zu bringen.). Für den Jugendvollzug hat das OLG Jena Bedenken gegen die Zulässigkeit des Anhaltens eines an einen Strafgefangenen gerichteten Schreibens nicht gesehen, wenn u.a. durch Kenntnisnahme vom Inhalt das Ziel des Vollzugs gefährdet würde. Die Bestimmung des § 31 I Nr. 1 StVollzG werde in Nr. 26 I Nr. 1 VVJug verdeutlicht (Beschl. v. 17.12.2002 - VAs 3/02).

Bis zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage hat der Senat - in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung - keine Bedenken, dass der in § 29 StVollzG enthaltene und in Nr. 24 VVJug verdeutlichte und mit dem Erziehungsauftrag zu vereinbarende Rechtsgedanke grundsätzlich eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Kontrolle der Post des Betr. darstellt. Soweit es die in Abs. 1 und 2 von Nr. 24 VVJug i.V.m. § 29 I und II StVollzG genannte Post betrifft, z.B. Verteidigerpost oder Post an Volksvertretungen, unterliegt der Schriftwechsel des Betr. nicht der Kontrolle. Lediglich der nicht von gesetzlichen Sonderregelungen erfasste Schriftwechsel wird aus Gründen der Erziehung überwacht. Dies ist Ausdruck des § 91 JGG, der als Aufgabe des Jugendvollzuges, die Erziehung des Verurteilten zu einem künftig rechtschaffenen und verantwortungsbewussten Lebenswandel normiert. Dabei stellt die Postkontrolle in dem sensiblen Bereich des Jugendvollzuges ein geeignetes Mittel zur Erfüllung des Erziehungsauftrages dar. In Anbetracht der vielfältigen, durch die Disziplinarverfahren dokumentierten Auffälligkeiten des Betr. im Vollzug, bedarf der Gefangene einer engmaschigen Kontrolle, um dem Vollzugsauftrag gerecht zu werden. Die zurückliegenden Vorfälle zeigen, dass er die Regeln des Vollzuges nicht akzeptiert. Dabei hat er sowohl Bedienstete als auch Mithäftlinge in extremer Weise provoziert. Er ist sogar in massiver Weise tätlich geworden. Erhebliche Erziehungsdefizite sind zutage getreten. Um dem Erziehungsauftrag in der Person des Betr. gerecht zu werden, sind umfassende Kenntnisse aus seinem sozialen Umfeld, die nur durch die Postkontrolle erlangt werden können, erforderlich. Mildere Mittel - wie Aktenstudium, Gespräche mit dem Betr. und seiner Familie, die nicht erzwungen werden können - sind nicht geeignet diese Kenntnisse zu erhalten. In Anbetracht der vielfältigen Disziplinarverfahren ist schließlich unabhängig von der Art des Vollzuges mit weiteren Vorfällen zu rechnen, so dass auch auf Grund der Sicherheit und Ordnung der Anstalt die Briefkontrolle zur Überwachung des Betr. verhältnismäßig ist. Sie ist geeignet und erforderlich. Weniger einschneidende Maßnahmen erscheinen zur "Überwachung" des Betr. nicht geeignet.

Ende der Entscheidung

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